Backsteinfassade, knarzendes Treppenhaus, große Terrasse, alte Parkettböden und die authentische Wärme eines Hauses, das Geschichten erzählen kann. Seit Ostern ist Hajo Greve mit greve_masskonfektion in einem Baudenkmal aus den 1920er Jahren zu Hause. Auf den ersten Blick ungewöhnlich als Schauraum, zieht die besondere Atmosphäre des Ortes jeden Besucher sofort in ihren Bann. Es ist anders als ein Geschäft: privat, persönlich, fast intim. Und „anders“ ist auch die Leistung, die Greve hier anbietet.
„Mit dem Wort ‚Mode‘ kann ich nicht mehr viel anfangen“, sagt er – eine überraschende Aussage von jemandem, dessen Familie seit Jahrzehnten mit Mode in Krefeld verbunden ist. Schnell wird klar: Es geht ihm um mehr. Mehr Individualität, mehr Persönlichkeit, mehr Qualität – in allem. „In nahezu allen Lebensbereichen spüren wir den drängenden Wunsch der Menschen zur Individualisierung“, ist Greve überzeugt, „und dieser Wunsch betrifft immer mehr auch die eigene Kleidung.“ Sein Konzept der individuell nach Maß und Geschmack angefertigten Garderobe hat er ganz auf dieses Credo abgestimmt. Und nach jahrzehntelangem Geschäft in der Damenmode liegt sein Fokus nun (fast) ausschließlich auf Herrenbekleidung.
„Öffnungszeiten? So etwas habe ich nicht!“, lacht Greve. Maßgarderobe bedeutet bei ihm auch Termin nach Maß, oft auch abends oder sonntags. Und zu immer mehr Kunden reist er persönlich an. „Vor über zwei Jahren habe ich auf eine Empfehlung hin meinen ersten Kunden in München besuchen dürfen, gegenwärtig bin ich alle sechs Wochen dort“, berichtet er. Auch nach Frankfurt, Hamburg, Berlin oder Xanten fährt er regelmäßig. Alles nach Maß eben.
Ware „von der Stange“ sucht man in seinem Schauraum ebenso vergeblich wie die klassische, enge Umkleidekabine oder die Packtheke samt Kasse. Stattdessen lädt der große moderne Designtisch aus massivem Holz mit seinen gemütlichen Stühlen zum Ankommen und Dableiben ein. Hier ist man Gast, nicht Kunde. Hier wird man bewirtet, nicht bedient. Die gut bestückte Bar ist nicht zufällig Herzstück des Raumes. Apfelkuchen zum Anzugkauf? Oder doch lieber ein deftiges Mettbrötchen? Der lichtdurchflutete Schauraum mit dem großen Fenster zum Garten wird für den Besucher rasch zum Wohnzimmer und auch der Anprobe widmet Greve einen eigenen hellen Raum. Das 70 Jahre alte Büromobiliar seines Opas hat hier einen neuen, wunderbaren Platz gefunden.
Wie wertvoll diese Stimmung ist, wird schnell deutlich. Greves Gesprächsführung ist vollkommen anders als erwartet. Ungewöhnliche Fragen ergründen die wirklichen Beweggründe und das Ziel des Kunden. „Ich möchte verstehen, um wen und worum es wirklich geht“, sagt Greve, der den wesentlichen Unterschied zum herkömmlichen Herrenausstatter mit seiner Haltung bekräftigt: „Neugierde, Empathie und Wertschätzung sind meine Antreiber mit dem Ziel, die Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse des Kunden zu verstehen und dann umzusetzen.“
Überraschend ist das umfassende Angebot an maßgefertigter Garderobe: Neben Anzügen, Saccos und Hemden lässt Greve für seine Kunden Chinos, Jeans, Jacken und Mäntel, Schuhe, Sneakers, Smokings oder Cutaways anfertigen. Ob Bank-Azubi, Handwerksmeister, Polizist oder Top-Berater: Greves Kunden sind ebenso vielfältig wie deren Anlässe. Nicht mehr wegzudenken sind auch die Bräutigame, denen sich Greve auch auf verschiedenen Hochzeitsmessen in der Region vorstellt und für die er ein hochkarätiges Netzwerk aus unterschiedlichen Hochzeitsdienstleistern pflegt. „Ich stelle auf meinen Messeständen nur wenig aus“, erzählt er. „Die Besucher fragen mich dann gerne: ,Können Sie mir mal einen Anzug zeigen?‘ Ich antworte dann: ,Ja, kann ich. Und der Anzug, den Sie wirklich wollen, ist in Ihrem Kopf.‘ Und dann reden wir darüber.“
Alle Stoffe, da macht er keine Kompromisse, kommen aus Italien: das „who-is-who“ italienischer Webkunst findet sich in der riesigen Auswahl an Stoffen. Die meisten Ateliers, in denen Greve fertigen lässt, sind ebenfalls in Italien daheim. „Wir verbinden hier die klassische neapolitanische Schneiderkunst mit den Möglichkeiten der Digitalisierung“, erklärt er. So entsteht ein unerwartet modernes Preis-Leistungs-Verhältnis für eine im herkömmlichen Markt kaum mehr zu findende Qualität, jede Menge Handarbeit inklusive. Einen maßgefertigten Anzug bietet Greve bereits ab 600 Euro an, Hemden ab 120 Euro. Alle Kundenmaße werden gespeichert. Wer einmal dort war, braucht nicht mehr anprobieren – nur Männer wissen wohl, wie angenehm das ist.
Nach einiger Zeit des Gesprächs wird deutlich, warum der Begriff „Mode“ ihm nicht mehr viel gibt. Hajo Greve holt tief Luft: „Ich bin in der Haltung meinen Kunden gegenüber frei von Glaubenssätzen. Wer bin ich, dass ich meinem Kunden sagen darf, was für ihn ‚richtig‘ sei? Natürlich steuere ich auf Wunsch meine Meinung bei – im Kern steht aber immer das Ziel meines Kunden. Die Mode lebt naturgemäß von der vergänglichen Meinung über das, was heute ,richtig‘ und ,falsch‘ sei, sonst wäre es ja keine Mode. Sie hat dadurch etwas Bestimmendes, manche Menschen empfinden es gar als ,Diktat‘. Couturiers, Designer und Marken müssen für ihren Geschmack werben und ihn ihren Kunden verkaufen. Ich hingegen schaue von meinem Kunden aus auf sein Outfit und die Art, wie er dadurch kommunizieren möchte. Mich reizt der Perspektivwechsel.“
Er überlegt kurz. Dann kommt es ganz spontan, wie aus der Pistole geschossen. „Stil. Der Stil als modische Muttersprache“, sagt Greve. „Der Stil ist das Ziel. Und der ist eben immer individuell.“ Oder eben auch: Immer wieder anders und neu.
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